Frage: Haben Sie sich bei der Ausgestaltung der Charaktere an realen Personen orientiert?
Selbstverständlich orientiert man sich zunächst an realen Personen, wenn man seine Charaktere zeichnet. Man hat ein konkretes Bild vor Augen und kann Eigenschaften, Aussehen, etc. viel besser beschreiben. Aber die Protagonisten haben auch ein Eigenleben, ihre eigenen Ansprüche, fordern den Schreiberling heraus, bestimmte Wesenszüge der Originalperson zu überformen, wegzulassen oder neu zu erfinden.
Dann fährt man beispielsweise mit den Öffis oder sitzt in einer Kneipe und plötzlich macht am Nachbartisch irgendjemand eine putzige Bewegung, zieht eine Grimasse, hat eine Marotte, fällt mit seinem Gesprächspartner in einen ungehaltenen Streit oder attackiert sein Smartphon auf eine so ungewöhnliche Art und Weise, dass man diese Beobachtung gewinnbringend seinen Protagonisten unterjubeln kann. Und nach und nach entsteht ein völlig neuer Charakter, der mit dem Original nicht mehr allzu viel zu tun hat; ein völlig neuer Typ ist entstanden.
Dann gibt es natürlich auch Charaktere, die keine eigentlichen Vorbilder haben, aber bestimmten Klischees folgen müssen, hier schließt man sich vielleicht Rollen aus Film- und Fernsehen an, die der Leser schnell erkennen kann. Man kitzelt das Gute oder Fiese heraus und der Protagonist bekommt seine ureigene Identität.
Frage: Was brachte Sie ausgerechnet auf die von Ihnen gewählten Themen?
Das ist eine lange Geschichte: Blaue Traubenhyazinthen umrundeten die Eiseneinfassung eines Gullys mitten im Wald. Der Deckel fehlte. Kühl und abgestanden wehte dem kleinen Jungen, der ich damals war, der Odem der Unterwelt entgegen. Neugier. Abenteuerlust. Was verbarg sich in der dunklen Tiefe? So fing wohl alles an. Mit 11 Jahren wurde ich Berlinbotschafter für die Weltfestspiele. Für eine Eurovisionssendung musste eine Gruppe von Teens Ostberlin entdecken. Wir kämpften mit den assyrischen Kriegern im Pergamon- und entdeckten das Mumienkabinett im Bode-Museum. Den Mysterien der Geschichte und dem Gold der Schätze hautnah auf der Spur wurden schon hier die Grundlagen für einen Museumsthriller geschaffen.
Dann verschlang ich populärwissenschaftliche Bücher über die Tempelritter, las die Romane anderer Autoren. Verschwörungstheorien, weitere Mysterien, was war dran an den Geschichten? Endlich – schon lange dem Teeny-Alter entwachsen - machte ich mich auf den Weg zu den Wirkstätten der Tempelritter: Jerusalem, Konstantinopel, Rennes-le-Château und zurück nach Berlin. Doch nicht in Frankreich oder im fernen Amerika, sondern hier in einer mittelalterlichen Gründung der Tempelritter mitten in Berlin sollte das Heiligtum der Templer verborgen sein. Eine Legende - direkt vor der Haustür! Ortsbegehung in Tempelhof, Literaturrecherchen, Vortrag im Verein Berliner Unterwelten e.V. und irgendwann formte sich eine Geschichte, die tatsächlich so hätte sein können, aber eben dennoch nur ein modernes Abenteuermärchen bleiben konnte. Wichtig für diesen Abenteuerthriller war mir, den Leser aus seiner Heimat in die weite Welt hinaus zu locken, so wie es einst die Tempelritter mit den Pilgern von Europa nach Jerusalem getan hatten. Meilenweit war aus der Tiefe des Brunnens in die Weiten der Welt gedrungen.
Frage: Gibt oder gab es auch mal „Schreiblockaden“ und wie gehen Sie damit um?
Wieder einmal fläzte ich mich schreibgrübelnd auf meinem Wohnzimmerperser, den ich vor Jahren in einer orientalischen Kaschemme erfeilscht hatte. Plötzlich erfüllte er eine Funktion, von der ich bisher nur zu träumen gewagt hatte: Er hob sich vom Fußboden ab, flatterte durch die offene Balkontür, streifte die Kirchturmspitze am Platz vor meinem Haus, schwenkte bei heftigem Wind nach Südosten über die blauen Weiten des Schwarzen Meeres, kratzte an der Kuppel der Hagia Sophia in Istanbul, und setzte mich schließlich bei ungünstiger Thermik in einem fernen Land ab. Weiter zog ich mit dem Kamel durch die Wüste Thar und entdeckte in einer alten Karawanserei aus Tausendundeiner Nacht einen duftenden Gewürzladen. Bei einem Gläschen Tee kam ich mit dem Giftmischer ins palavern. Ich legte ihm meine Probleme mit der Schreibblockadeauf den kleinen runden Marmortisch, dessen Intarsien aus Lapislazuli, Karneol und Onyx unter der Wirkung des Masala-Tees lebendig zu werden schienen. Aufknospende Blüten rankten sich die Tischbeine entlang und griffen nach meinen Beinkleidern. Mit einer heftigen Handbewegung wollte ich meinen Gastgeber über das absurde Benehmen seiner Intarsien aufmerksam machen, doch der hatte sich schon längst in ein Hinterzimmer zurückgezogen.
Immer noch damit beschäftigt, die Rankenattacke abzuwehren, trat er plötzlich hinter dem feingewebten Vorhang hervor und überreichte mir ein Beutelchen mit einem grauen, wohlriechenden Pulver darin. „Das wird Ihnen helfen, die Dinge mit frischen Augen zu sehen.“ Dankend nahm ich den Beutel entgegen, zahlte mit ein paar Münzen und verließ den alten Mann. Auf dem Beutel stand in schwarzen Lettern: „Brain-Spices“.
Frage: Wo und in welcher Atmosphäre entstehen Ihre Bücher?
Also: Ich klettere nicht auf den höchsten Berg in meiner Umgebung, setzte mich nichtin OM-Position und erwarte nicht den inspirierenden Sonnenauf- oder -untergang. Es ist viel profaner: Als zeitig aufstehende Lerche nutze ich die Zeit zwischen Frühstück und erstem Patienten, der bei mir in die Praxis flattert, was selten vor 9 Uhr der Fall ist und habe so meine goldene Stunde zum Schreiben. Wenn eine Geschichte jedoch im Fluss ist, beschäftigt sie mich intensiver, in allen Lebenslagen. Dann muss ich nachts aufspringen und sofort das in ein Notizbuch kritzeln, was mir meine Protagonisten in somnambulem Zustand eingehaucht haben. Protagonisten können manchmal ganz schön nervig, einfallsreich und sogar anstrengend sein. Dafür liebe ich sie! Ich schreibe auf einem Laptop, der eigentlich ein Tischtop ist, denn ich brauche die Maus – Touchpads hasse ich. Und wenn dann noch etwas melodic deep house aus meiner Bluetooth-Box dudelt, fließen die Sätze fast von selbst in meine Word-Dokumente. Gewiss, damit alles herausquellen kann, bin ich zuvor in den abartigsten Zuständen durch die Atmosphären der Inspiration gereist. Nur wenn das Hirn im Wechsel ordentlich von luftfeuchtem Regenwald, giftgrünem Absinth, endloser Wüste, vergorener Stutenmilch, Geschwindigkeitsrausch auf dem Motorrad und einer Pulle Whisky in Fassstärke gewalkt wurde, haben die Protagonisten eine Chance.
Frage: Wenn Sie ein Buch beginnen zu schreiben, wissen Sie dann schon wie es ausgeht?
NEIN, aber irgendwann flüstern es mir meine Protagonisten ins Ohr. Für mein urban-fantasy-Abenteuer Meilenweit hatte ich sogar drei Enden angedacht. Das Erste für die braven Weicheier, das Zweite für tollkühne Abenteurer und das Dritte für hartgesottene Apokalyptiker. Die Weicheier - big dislike - habe ich gleich wieder verworfen und den apokalyptischen Ausblick gibt es immerhin noch im Epilog.
Frage: Welchen Stellenwert in Ihrem Leben nimmt das Schreiben für Sie ein? Was ist Ihnen sonst noch wichtig im Leben?
Schreiben ist meine wichtigste Ausdrucksform. Damit das Aufschreiben lohnt, ist es sicher hilfreich auf einen reichen Schatz an Erfahrungen und selbst Erlebtem zurückgreifen zu können. Da sind Brüche in der Vita vermutlich nützlicher als die geradlinige 9to5-Karriere. Reisen halte ich für unabdingbar: das kann die Reise in die kommunikative Kneipe um die Ecke, oder auch die Reise an das Ende der Welt sein. Der Weg wird gepflastert sein mit Geschichten, Schicksalen die gespiegelt im eigenen Ich neue Erkenntnisse, Aha-Erlebnisse und Emotionen hervorbringen, die mich persönlich zur Feder greifen lassen würden. Die Reise kann auch zwischen den eigenen Synapsen stattfinden - zumal, wenn neurotransmitterähnliche Substanzen neue Welten provozierten.
Neben der schriftlichen Aufzeichnung halte ich die Enden der Welt gern in dokumentarischen Videographien fest. Heute erlaubt die Videotechnik Einsichten, die dem Durchwanderer vermutlich verborgen blieben: die Makroaufnahme der Mundwerkzeuge einer Spinne beim Eindringen in das im Netz gefangene Opfer, die jedes Härchen wie unterm Mikroskop feilbietet oder der Drohnenflug durch ein Canyon, dem Adlerauge gleich, Überblick und Detail verschaffend, die dem Wanderer in seiner bodenverhafteten Position verborgen geblieben wären. Die alltäglichen Indoktrinationen der Massenmedien halte ich für Zeitverschwendung, genauso wie die allgegenwärtige Selbstzerfleischung der Deutschen. Buddhistische Meditationen verwirken Konsumrausch, andere Lebenskonzepte tun sich auf. Reisen illuminiert, schärft die Sinne: die asiatische Welt wartet mit Gewürzen auf, die Geschmacksexplosionen evozieren, die weit über Salz und Pfeffer hinausgehen, den sattgefressenen Körper heilen; die arabische Welt lockt mit olfaktorischem Zauber, der die veresterten Düfte von Bossoder Chanel kümmerlich in die Ecke verweist. Kodo-Trommeln lassen das Sonnengeflecht vibrieren wie die Demutspfeife einer Silbermann-Orgel. Gewaltige gotische Kathedralen bringen uns zurück auf den (Stein-) Fußboden – das Individuum degradiert zu einem unter abertausenden Lebewesen mit einem Anfang und einem Ende.
Frage: Haben Sie selber ein Lieblingsbuch bzw. Autor?
100.000 Neuerscheinungen pro Jahr allein in Deutschland. Ich fürchte da verliert man schnell den Überblick. Davon schaffe ich bestenfalls 30, 40 Bücher pro Jahr zu lesen und welches Buch, welchen Autor macht man da zum Dauerliebling? In jeder Dekade war vermutlich ein anderer wichtig – wie im richtigen Leben. Und in aktiveren Zeiten erschienen die Dekaden vielleicht in einer anderen Raum-Zeit-Krümmung.
Natürlich gab es immer wieder Bücher, die mich sehr bewegt haben, das fing schon in der Schule tatsächlich mit Goethes „Faust“ an und setzte sich mit Edgar Alan Poe, Oscar Wilde, Stanislaw Lem, Albert Camus, Rudyard Kipling, Italo Calvino, Kurt Tucholsky, fort. Nach einem Intermezzo leichter Kriminalliteratur (Agatha Christie) folgten schon bald die russischen Symbolisten aus den 1900 bis 1920er Jahren. Düster, skurrile Geschichten, die heute kaum noch einer kennt. Überhaupt hat die russische Literatur so einiges zu bieten: „Die toten Seelen“ von von Nikolai Gogol, Anton Tschechow: „Der Kirschgarten“, Walentin Rasputin: „Abschied von Matjora“, Tschingis Aitmatow: „Djamila“ als wirklich schöne Liebesgeschichte, oder Teffy: „Champagner aus Teetassen“ als leichter Fluchtroman vor der Bolschewiki, und Vladimir Nabokow: „Erinnerung, sprich“ um überhaupt nur einige bekanntere zu erwähnen. Aber auch der Franzose Emmanuel Carrère mit seinem russophilen Klassewerk „Limonow“ eine genreübergreifende Romanbiografie, in der nichts trocken bleibt. Düster apokalyptisch geht es mit Alfred Kubins „Die andere Seite“ weiter, ein von ihm selbst illustriertes Werk, dass sich zu den Symbolisten stellen ließe oder tragisch: Somerset Maugham: „Der Menschen Hörigkeit“ oder Erich Maria Remarque: „Schatten im Paradies“. Erwähnen muss ich Erzählungen von Charles Bukowski.
Kurzweilige Jetztliteratur gehört natürlich auch zu von mir gern gelesenem Stoff, etwa die spannenden Trilogien von Stieg Larsson; Axel Ranisch: „Nackt über Berlin“, den ich vor zwei Jahren auf der Leipziger Buchmesse kennengelernt habe, und natürlich verschlinge ich auch Mainstreamwerke von Umberto Eco „Das Foucaultsche Pendel“, Amy Tan: „Der Geist der Madam Chen“, Harry Mulisch: „Die Entdeckung des Himmels“, Jean-Christophe Grange: „Der Ursprung des Bösen“, Michael Crichton: „Congo“, „Timeline“, „Discloser“, Rising Sun“, Jonathan Franzen „The Corrections“, Ferdinand von Schirach: „Schuld“, Frank Schätzing „Der Schwarm“, Cixin Liu: „Die drei Sonnen“ Jaume Cabré: „Die Stimmen des Flusses“, Noa Gorden: „Der Medicus“, Ken Follett: „Die Säulen der Erde“. Nicht zu vergessen Andreas Eschenbach „Eine Billion Dollar“, Carlos Ruiz Zafón: „Friedhof der Vergessenen Bücher“, Paulo Coelho „Der Alchimist“. Wirklich alles Bücher, die ich gerne gelesen habe – doch hier nun das Muss herauszufischen, bliebe unmöglich, der Genres wären es zu viele und vermutlich habe ich das für mich wichtigste Werk/Autor bei der kulturellen Fülle glatt übersehen: Dekadenschlamassel.
Frage: Was macht für Sie die Faszination von Büchern aus?
Ein großes Thema. Als ich noch ein Junge war, bestanden die Bücher aus säurehaltigem Papier von kurzer Dauer. Der Inhalt war wichtig, vermittelte Wissen oder provozierte die eigene Fantasie.
In der Bibliothek der Großeltern oder im Antiquariat hingegen warteten Folianten, ledergebundene Bücher mit Goldschnitt, Kunstwerke mit Stahlstichen, handkolorierten Drucken auf den bibliophilen Novizen. Ein Sinneszauber tat sich auf: beginnend mit dem Duft von Leder, Papier und Druckerschwärze, dem Knistern alten oder neuen Papieres, handgeschöpften Büttens, immer wieder überschriebenen Pergamentes. Haptik. Typographie, Illustration, die Wahl des Papieres erfreuten den Betrachter. Jeder Foliant eine handwerkliche Meisterarbeit, kein dahingeschluderter Massenkonsum.
Wissen verbarg sich auch in verbotenen Büchern. Zensur des gerade herrschenden Machthabers, der um seine Existenz fürchtete. Während des Studiums galt nichts als wichtiger, als irgendwie die Genehmigung zu ergattern, eines der Bücher aus dem sogenannten Giftschrank der Staatsbibliothek selbst in den Händen halten zu dürfen. Dann, oft Enttäuschung darüber, welche Profanität zur Zensur geführt hatte.
Endlich, noch mit Ost-Pass in der Wendezeit, Zutritt zu den weltbekannten Bibliotheken. Dünn geschliffener Alabaster lässt das flutende Sonnenlicht gedämpft in die Beinecke Bibliothek für seltene Bücher und Manuskripte der Yale Universität in Connecticut eindringen, dessen Kern - ein hermetisch abgeriegeltes Glashaus - sich von der Bodenplatte durch die Stockwerke hindurch bis unter das Dach zieht und die seltenen Schriften einem Klima aussetzt, welches sie noch lange erhalten möge. Schriften von denen nur noch wenige Exemplare auf dem Erdenrund existieren, handgeschriebene Manuskripte auf Pergament oder Papyrus. Einmalige Schriften, die niemand entziffern kann, wie das Voynich Manuskript, geschrieben auf Pergament aus dem Mittelalter, an dem sich NSA und CIA vergeblich die Zähne ausgebissen haben. Natürlich kann ich mir heute das Manuskript aus dem Netz ziehen und auf meinem flimmernden Bildschirm durchblättern – doch bleibt mein Besuch der Beinecke Bibliothek vor 30 Jahren fest in meiner Erinnerung verankert; ein Erlebnis, das meine Faszination von Büchern auf den Punkt bringt.
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